Mittwoch, 26. Dezember 2012

Fehlt nur eine Niere?

Oder auch eine Gehirnhälfte? Frank-Walter Steinmeier gibt Verlegern einen Rat

Frank-Walter Steinmeier hat eine Niere an seine Frau verschenkt. Das war zweifellos eine gute Tat. Zeitungsverlegern geht derweil der Auflagenschwund an die Nieren. Deshalb hat jetzt der SPD-Fraktionschef Rat an die Herausgeber von täglich erscheinenden Druckerzeugnissen verschenkt. Das war viel weniger gut.

"Versuchen Sie, nicht schneller oder reißerischer zu sein, sondern fundierter und besser. Qualität setzt sich durch", beteiligte sich Steinmeier mit einem Interview an einer bundesweiten Imagekampagne der Zeitungsverlage. Kampagnen für das Image hat bekanntermaßen nur nötig, wer unter demselben leidet. Dafür gibt es mehr Gründe als Steinmeier ahnt.

Erstens können die meisten Zeitungen bei welt-, bundes- oder landespolitischen Ereignissen gar nicht schneller sein als andere, weil sie die Meldungen aus den gleichen Quellen beziehen. Das sind ausländische oder inländische Nachrichtenagenturen. Zweitens wollen die meisten Zeitungen gar nicht fundierter oder besser sein. Die finden es viel besser, wenn sie Nachrichten oder Kommentare abdrucken, die im Auftrag von Dritten geschrieben werden. Das erfährt die Leserschaft allerdings nicht. Wer kommt schon darauf, dass ein Kommentar über steigende Benzinpreise möglicherweise von VW finanziert worden ist? Das Geld stecken Unternehmen wie VW allerdings nicht den Zeitungsverlegern direkt in die Tasche, sie geben solche Stellungnahmen bei Verlagen in Auftrag, die davon leben, dass sie genau das schreiben, was die Auftraggeber erwarten. Solche Verlage hält sich auch die Bundesregierung. Für den Abdruck werden die Zeitungsverlage mit Anzeigen belohnt.

Erkundigt man sich in Redaktionen, wer eigentlich noch eine eigene Meinung vertreten oder schreiben darf, was geschieht, dann bekommt man zur Antwort: "Die Kulturredaktion. Das ist die Idiotenwiese." Dort grasen also noch ein paar frei herumlaufende Redakteure. Die Meinungsforscherin und Publizistik-Professorin Elisabeth Noelle-Neumann hat darüber den Bestseller "Die Schweigespirale" geschrieben, der immer noch aktuell ist. Ecken Redakteure mit einem Thema an, merken sie sich das - und widmen sich so lange verschiedenen Themen, bis sie stromlinienförmig auf den Kurs des Zeitungsverlegers eingeschwenkt sind - dann schreiben sie nur noch das, was die Chefetage lesen will - oder sie wechseln den Beruf. Jeder, der dieses Prinzip begriffen hat, muss sich darüber wundern, dass in Diktaturen kritische Redakteure ermordet oder ins Gefängnis geworfen werden.

An Meldungen, die wirklich wichtig sind, kommt Otto Normalleser nicht heran. Wirtschaftsbosse und Finanzhaie besorgen sich sowas mit einem schwarzen Koffer in der Hand, Regierungen bezahlen dafür Geheimdienste, so manche käufliche Dame weiß mehr als ein Wirtschaftsminister irgendeines Bundeslandes. Geht was schief, bekommen Politikerinnen und Politker so viele Schraubenschlüssel in die Hand, wie sie für die Reparatur des Konjunkturmotors benötigen, läuft der Motor wieder, müssen sie die Schraubenschlüssel lagern bis zum nächsten Mal. Bis die Werkzeuge nicht mehr greifen. Dann greift das Prinzip: "Unternehmer tragen das Risiko zu ihren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die schon sehen werden, wie lang die Schlangen vor den Arbeitsämtern werden können."

Wie viele Menschen derzeit wirklich arbeitslos sind oder von ihrer Arbeit nicht leben können, erfährt man nicht. Genauso wenig erfährt man, was die Griechenland-Hilfe mit Euro kostet und was sie ohne Euro kosten würde, denn das weiß niemand. Man erfährt auch nicht, wie viele deutsche Soldaten in Afghanistan Selbstmord begangen haben. Die Zahl ist unter Verschluss.

Und da spricht Frank-Walter Steinmeier von Qualität, die sich durchsetzt. Das weiß doch jeder, der sich gerade noch mit einem Fachgeschäft über Wasser hält, anders. Es ist eben in Deutschland nicht strafbar, wenn Großkonzerne in armen Ländern sogar Kinder ausbeuten oder am Arbeitsplatz sterben lassen, wenn sie ihren Schrott in armen Ländern entsorgen, wenn die Griechenland-Hilfe gar nicht dort ankommt, wo sie gebraucht wird, sondern dort, wo die nächste Ausbeutung finanziert wird, wenn Angela Merkel so viele Waffen in Krisengebiete exportiert wie kein Bundeskanzler vor ihr.

Geiz ist inzwischen nicht mehr nur geil, Geiz ist inzwischen für viele sogar lebensnotwendig. Was man von Tageszeitungen nun wirklich nicht sagen kann. Erst kommt das Fressen, dann die Moral. Da kann Steinmeier im Auftrag der Zeitungsverlage reden, was er sich eigentlich als Anzeige bezahlen lassen müsste.



Keine Kommentare: